An dieser Stelle berichten Angehörige, wie sie selbst das Miteinander in der Wohngemeinschaft erleben...


Endlich ist es soweit:  Der Einzug unserer Mutter am 1. März 2008. Mit einem herzlichen Willkommen von Frau Krieger und Martina fühlen wir uns an- und aufgenommen. Wir haben einen Hefezopf mitgebracht und sind schon gespannt auf die anderen Mitbewohner der WG.

Das Zimmer unserer Mutter war vorher von  uns schon hergerichtet und liebevoll mit Bildern und Erinnerungen aus ihrem langen 82jährigen Leben dekoriert worden. Sie hat sich gleich alles neugierig angeschaut.

Hier kann man wirklich loslassen und weiß die Angehörigen gut aufgehoben.

Am 5.März Kontakt per Mail mit Frau Gürster, sie schreibt: " Ihre Mutter ist tags aktiv und nachts schläft sie gut. Am Nachmittag war sie mit Martina draußen unterwegs, sie hatten den Kinderwagen dabei. Ihre Mutter hat ihn geschoben. Zuvor gab es Kaffee und einen frischen Quarkkuchen, den eine Besucherin eines Mitbewohners  mitgebracht hat. Es läuft alles so, wie wir es uns vorstellen, sehr familiär..."

Mit dieser guten Nachricht kann man die Tage seit langem zum ersten Mal entspannt und beruhigt leben.

Am 12. März um 18.30 Uhr war das erste "Gremium-Treffen" in der Fuchstaler Senioren-Wohngemeinschaft. Wir "Kinder der Eltern", die jetzt  in der WG leben, haben uns schon bei der Eröffnungsfeier kennen gelernt und so gibt es kein "Fremdeln". Es ist wie der Beginn einer Schiffreise  mit einem gemeinsamen Ziel, und der Hoffnung, dass ein guter Wind uns begleitet mit möglichst wenig Sturm und guter Navigation, einem hellen Leuchtturm, wenns wirklich brennen sollte. Zufrieden über unser erstes Treffen fahren wir nach Hause.

Heute kommt mir meine Mutter schon entgegen mit den Worten "Komm mit" und zeigt in Richtung Küche. Es ist Mittagszeit und ihre zwei Mitbewohner Frau G. und Herr B. sitzen schon am Tisch und warten auf sie. Es gibt Suppe, Schinkennudeln mit Salat und eine Nachspeise. Ich habe Malzbier mitgebracht, jeder probiert und allen schmeckt das " süffige Bierle". Nach dem Mittagessen machen Frau G. und Herr B. ein Mittagsschläfchen. Meine Mutter hilft in der Küche und bringt mit der Betreuerin Conny den Kompost in den Garten. Dann setze ich mich für eine kurze Weile mit meiner Mutter an den kleinen Weiher im Garten. Meine Mutter streckt ihr Gesicht der Sonne  entgegen und ist sichtlich zufrieden.

Meine Mutter war vorher 5 Monate in einem Heim untergebracht. Es gab keine Küche, kein Wischtuch, ihre Aktivitäten stellte sie ein und wurde immer apathischer. Bei 25 Mitbewohnern konnte ihr ganz persönliches "Lebensmuster" nicht berücksichtigt werden.Essen- und  Windelgeruch waren die Wegweiser zu ihr - in ihre "Abteilung". Bei einem Besuch dort: Die Mitbewohner  saßen um den Tisch und es herrschte "Stille".  Hoffentlich geht es meiner Mutter gut - wo ist sie, ich finde sie nirgends. Verloren hinter den vielen Türen finde ich sie  in einem fremden Zimmer. Sie schaut mir erschrocken entgegen. "Wer bist Du? Wo bin ich? - Kopfschütteln - Langsam erkennt sie meine Stimme. Meine Umarmungen kennen alle ihre Zellen  seit 82 JaHren und sie reagiert auf mich und lächelt mir zu.Es ist Kaffeezeit, es gibt  einen Keks in Zellophanpapier, Kaffee in braunen Plastiktassen - Zucker und Milch sinbd schon drinnen. Früher: ein Schwätzchen, ein Liedchen - bella bella bella Marie, vergiß mich nie...das waren noch Zeiten! In diesem Stadium jetzt fehlen ihnen die Worte. Wohlbehagen sieht man am Mienenspiel, einer Hand, die sich wehrt...Wie ausgeliefert sind sie dieser Welt.

Jeder Besuch in der Wohngemeinschaft ist immer wieder ein Ereignis mit neuem "Lernfeld". Meine Mutter ist in der Küche ihres neuen Zuhauses in Asch und kommt mir mit einer Zeitung entgegen. Sie sagt "Grüß Gott" u8nd gibt mir die Hand. Dann stelle ich mit Namen vor und sage, dass ich ihre jüngste Tochter bin. Heute erkennt sie mich nicht. Das gibt es auch manchmal. Aber es tut immer wieder weh. Wir setzen uns zusammen an einen Tisch und meine Mutter ißt den mitgebrachten Kuchen mit Genuß. Im Wohnzimmer wird ein Kinderlied gesungen. Sie hört zu und freut sich. Zustimmendes Kopfnicken auf meine Frage, ob der Kuchen schmeckt. Sie sei heute schon fleißig gewesen, erzählt Schwester Gisela. Meine Mutter habe Geschirr weggeräumt und den Boden gesaugt. Ich lobe sie dafür. Dann steht sie auf, wäscht das mitgebrachte Obst am Waschbecken und geht aus der Küche in den Garten. Ich gehe ihr nach, sie hat ein Kopfkissen in der Hand. Wohin damit? Auf den Kompost? Nein, ich gehe mit ihr zurück in die Küche, auf die Couch mit dem schönen gelben Kissen. Dann stelle ich mich einer neuen Mitbewohnerin vor. Einer Besucherin erkläre ich, ich sei die Tochter von Frau M. "Ach die, die nichts spricht und immer rumschleicht" sagt diese. OHA, DAS SITZT.

Heute schaut meine Mutter aus, als wäre sie auf Kur, wunderbar entspannt  das ganze Gesicht und klar die Augen. Als ich gehe, mache ich die Eingangstür auf und sie kommt mir mit einer Betreuerin entgegen. Ein kleines erkennendes Lächeln, dann "Auf Wiedersehen" und an mir vorbei ins Wohnzimmer. Schön dass sie hier so gut aufgehoben ist. Meine Wünsche spielen keine Rolle. Aber am nächsten Tag kann sie mir auch mit  ausgestreckten Armen entgegenkommen und sich freuen, mich zu sehen.